WALTER Magazin #25 DER HERZCHIRURG | Besuch von Walter Röhrl
- Thorsten Ihlo

- 11. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Wenn die Motorenbauer beim Klassiker nicht mehr weiterwissen, rufen sie
Thorsten Ihlo an. Der Vergaserexperte aus dem bayerischen Wald ist wie die
meisten seiner Arbeiten: ein Einzelstück.
TEXT: Markus Stier FOTOS: Michael Heimrich & Michael Orth


Er war durchaus ein bisschen nervös ob des hohen Besuches. Dabei ist Thorsten Ihlo keiner, der sich von wichtigen Leuten, oder solchen, die sich dafür halten, leicht beeindrucken lässt. Viele Jahre hat er als Grafikdesigner in einer großen Werbeagentur im weltmännischen Hamburg gearbeitet und festgestellt: „Das ganze Schickimicki ist nicht mein Ding.“ Aber er war jung, und er brauchte das Geld, und seine Zeichenkünste sind eines der drei großen Talente, die der Herrgott ihm mitgegeben hat.
Schon damals hockte er sich auf seine Harley, düste acht Stunden in den bayerischen Wald, um das Hirn zu lüften und den Schampusnebel durch Nadelbaumduft zu ersetzen. Im hohen Norden lernte der gebürtige Bremer ein Mädchen aus Niederbayern kennen, und irgendwie fügte sich alles zusammen. „Ich wollte sowieso immer aufs Land“, sagt er und nennt den Umzug „die beste Entscheidung meines Lebens.“ Erst später, als sein Vater ein altes Foto aus dem Schwimmbad von Lam herauskramte, fand Ihlo heraus, dass es eine Heimkehr war. „Dort habe ich Laufen gelernt.“ Jetzt steht er mit beiden Beinen fest in Rimbach, ein Viertelstündchen entfernt vom Freibad, das es noch gibt und nur runde 30 Kilometer weg von seinem heutigen Gast.
Auf die Minute pünktlich röhrt der Röhrl mit seinem roten Porsche 356 auf den Hof. „Da erkennst du den Rallyemenschen“, sagt Ihlo anerkennend, dessen Leben ebenso von Timing und Präzision bestimmt wird, wie das eines Extremautofahrers. Ihlo ist Vergaserspezialist; ach was: der Vergaserspezialist.
Über Geld und über Namen redet er nicht, aber große, namhafte Restaurationsbetriebe rufen ihn an, wenn alte Karossen wieder glänzen, Motoren wieder aufgebaut sind, aber dann doch nicht so richtig laufen wollen. Walter Röhrl hat von ihm noch nie gehört, und es ist doch praktisch um die Ecke, also wollte er mal vorbeischauen. „Unglaublich, ich hätte schon längst einmal hier sein sollen, direkt in meiner Nachbarschaft. Ein grandioser Ort, Landschaft und Werkstatt“, schimpft sich Röhrl ob des Versäumnisses.
Die Werkstatt neben dem Haus ist keine nach Öl riechende Bastelbude mit überquellenden Schränken, rostigem Altmetall und herumliegendem Werkzeug, dies ist eine penibel aufgeräumte Klinik und Ihlo ist der Herzchirurg. „Die Leute sagen ja immer, das Herz eines Autos wäre der Motor, aber das Herz des Motors ist der Vergaser.“


Er weiß selbst nicht mehr, wie und wann genau ihn diese Benzin- und Luft-Zerstäuber so gepackt haben, dass sie ihn bis heute nicht mehr loslassen. Es hatte ja alles mit des großen
Bruders Fahrrad angefangen, dessen Speichenräder er in sämtliche Einzelteile zerlegte und wieder zusammenschraubte. Zugegeben, richtig rund lief das Rad danach nicht mehr,
aber das weckte umso mehr seinen Ehrgeiz. Das Schrauben ist sein zweites großes Talent, und je länger er als Werbegrafiker seine Brötchen verdiente, umso klarer wurde, dass er zu
seinem ersten machen wollte.
Seine 52er mit 74er Shovelhead-Motor hat er daheim selbst zusammengebaut. Mit den amerikanischen V2-Urviechern kennt er sich bestens aus, baute schon Rennvergaser
für Speedrekorde auf dem Salzsee in Bonneville. Zuweilen nimmt er noch Motorradaufträge an, aber nicht unter 500 Kubik, sonst lohnt sich der finanzielle Aufwand nicht. Hauptsächlich kümmert er sich um Autos, meist um luftgekühlte. Ein Solex 28 PCI von einem Käfer war der erste Vergaser, mit dem er sich eingehender beschäftigte, und
das Thema ließ ihn nie wieder los.
VERSAGER VERGASER
Vielleicht ist es seine Schwäche für Underdogs. Kein Wunder, wenn dein Vater, ein Bremer Werftarbeiter, dir dein Leben lang einsingt, du wärst auf einem stillen Örtchen im Weserstadion gezeugt worden. Ihlo wohnt in Niederbayern, hier mag man die Münchner nicht, und er ist kein Fan des FC Bayern. Vielleicht ist es auch sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. „Der Vergaser ist immer irgendwie an allem schuld. Man nennt
ihn ja auch nicht umsonst Versager.“ Ihlo fand heraus: In den meisten Fällen steckt der Fehlerteufel im Umfeld des Beschuldigten. Und er stellte fest: Selbst für viele Motorenspezialisten ist der Vergaser ein Buch mit sieben Siegeln. Und in diesem
großen schwarzen Loch in der Mitte des Autouniversums zündete Thorsten Ihlo eine Kerze an, und brachte Licht ins Dunkel.
Das Vergaser-Zeitalter ist schon seit über drei Jahrzehnten Geschichte. Seit der Einführung der Abgasnorm Euro1 anno 1993 sind Dreiwege-Katalysatoren Vorschrift, die nur mit Einspritzung funktionieren. Besucher Röhrl kennt Vergasermotoren noch aus seiner Karrieredämmerung, aber als er vor einem halben Jahrhundert mit seinem Sieg bei der Akropolis-Rallye den Durchbruch zur Weltspitze schaffte, waren die Doppelvergaser am Querstrommotor seines Ascona A gerade einer Kugelfischer-Einspritzung gewichen.
AM LIEBSTEN IM DUNKELN
Sein täglich Brot sind Vergaser erst wieder geworden, seit er als Porsche-Botschafter alle Nase lang mit Museumsschätzen durch die Lande fährt, oder mit seinen eigenen durch die Heimat. „Bei den alten Autos spürst du alles viel mehr“, sagt der Mann, der behauptet, er
habe eh immer nur für sich allein Auto fahren wollen. Am liebsten allein. Und im Dunkeln. Ihlo muss lachen: „Und ich wollte immer nur schrauben. Am liebsten allein und im Dunkeln.“
Jetzt gerade aber freuen sich zwei, dass es hell ist, und dass sie nicht allein sind. Röhrl ist Röhrl, höflich, freundlich, nahbar, Ihlo hat zwei Hunde und seine Frau hat Nusskuchen gebacken. So kriegt man den früher immer so hart und knorrig wirkenden Regensburger ganz schnell ganz weich. Nach einer Stunde ist der große Herr Röhrl nur
noch der Walter, der über den Lebenslauf von Thorsten ebenso staunt wie der über die Karriere des großen Hausgasts.
Der Mann, der sein Design-Studium mit Note eins mit Sternchen in der Tasche und in Hamburg einen gut bezahlten Job hatte, ging wieder zur Schule, wo sie für den Exoten eigens einen neuen alten Fachbereich schaffen mussten. „Meister der Restauration für Vergaser und Gemisch-Aufbereitungen“ steht auf dem Brief.
Handys gab es da noch nicht. Ihlo baute sich eine Fachbibliothek auf. Selbst, wenn er auf dem Lokus saß, blätterte er in Werkstatthandbüchern und Betriebsanleitungen. Er hat ein fotografisches Gedächtnis, das ist sein drittes großes Talent. „Wenn ich einmal einen Vergaser gemacht habe, dann brauche ich nie wieder eine Explosionszeichung davon“,
schwört er. „Dann hab ich das alles auf der Festplatte.“
ANZEIGEN ODER WERBUNG? NICHT NÖTIG
Eine Annonce hat er nie geschaltet, er hat eine Internetseite, aber er braucht eigentlich keine Werbung. „Das lief von Anfang an über Mund-Propaganda“, sagt er. Als er 2014 den
großen Sprung wagte und sich selbstständig machte, musste er keinen Kredit aufnehmen. Viele seiner Werkzeuge und Maschinen hatte er da schon. Manches konnte er günstig von
seinem alten Meister bekommen, der bei Rheinmetall arbeitete. Manches hat er selbst gebaut, nicht alles will er beim Hausbesuch zeigen. Welcher Zauberer lässt sich schon hinter den Umhang schauen?
Klar gibt es manchmal ziemlich traurige Anblicke, wenn ein Auto 20 Jahre draußen im Regen stand, wenn Vergaser und Drosselklappe in Liebe korrodiert zu einer rostigen Einheit verschmolzen sind, aber geht nicht, gibt’s nicht bei Thorsten. Er hat mal ein seltenes französisches Motorrad aus dem Baujahr 1904 flottgemacht, zu dessen Vergaser es nichts mehr gab als die Überreste und ein paar handschriftliche Notizen. Drosselklappen und Drosselklappenwellen sind knifflig, aber Thorsten kann sie selbst herstellen. Je nach Grad der Zerrüttung fertigt er Teile nach, bemüht sich aber bei so einer Patina-Restaurierung ansonsten sehr, so viel wie möglich vom Original zu erhalten. Abgesehen von der Galvanik, wenn was verchromt oder verzinkt werden muss, kann er alles selbst. „Ich habe eigentlich drei Jobs in einem.“
Wie jeder Jeck in Kölle ist jeder Vergaser anders, aber egal wie kompliziert oder marode, den großen Endgegner gibt es nicht. Höchstens ist mal der Wurm drin, wenn ein Werkstück nicht so will wie sein Werker. „Wenn sich das ziert, wenn das deine Zeit frisst, das macht mich wahnsinnig.“ Aber wirklich nervös wird er nur, wenn er mal mehr als 7.000 Teile in Arbeit hat. Dann erst beschleicht ihn das ungute Gefühl, den Überblick zu verlieren.
Wenn er eine Pause vom Schrauben braucht, schraubt er, vor allem im Winter und nur für sich selbst. „Das ist für mich Meditation“, sagt der Vergaser-Guru, der nicht so genannt
werden will. Auch Papst und Koryphäe hört er nicht gern, aber wie soll man so einen rufen? Er selbst nennt sich einen Fetischisten und auch den Perfektionisten lässt er gelten.



Das hat er mit dem Röhrl gemeinsam, den er früher nur aus der Sportschau kannte. „Die sind ja total wahnsinnig“, sagte der Vater, der nie einen Führerschein hatte. Der Junior war
fasziniert und entsetzt zugleich, wie man so im Schnee durch die Dunkelheit braten konnte, oder durch die Menschenmassen, die damals auf den Pisten herumsprangen. „Kein Wunder, dass der vier Mal die Monte Carlo gewonnen hat“, sagt Thorsten, jetzt wo man sich kennt. „Toll, dass es noch so jemanden gibt“, sagt Walter.
Er bewundert die Weber-DCM Vergaser, die Thorsten gerade in Arbeit hat. Sie stammen aus einem 1960er 356, eines der raren Exemplare mit den legendären Fuhrmann-
Motoren, wie sie auch im 550 Spyder von James Dean steckten. „Wahnsinn, welcher Aufwand und welche Präzision hier betrieben werden. Wer hier nach dem Geld fragt, ist eh verkehrt“, sagt Walter und verspricht: „Ich werde dafür sorgen, dass dir die Arbeit nicht ausgeht.“ Aber kann man das überhaupt Arbeit nennen? Thorsten wird diesen September 55. Klar, denkt er manchmal nach über das danach. Wer sich ein Königreich schafft, egal wie klein, denkt auch an die Thronfolge. Thorsten hat keine Kinder, die er anstecken könnte mit seiner Vergaser-Leidenschaft und draußen in der weiten Welt? „Ich hätte gern jemanden, der das übernimmt, aber so einer ist mir noch nicht untergekommen. Die Wörter Zukunft und Kraftstoff sind bei der Jugend ziemlich weit entfernt“, sagt er. Walter lädt zum Gegenbesuch und fleht: „Hoffentlich findet sich ein junger Mensch, der bereit ist, dieWerkstatt fortzuführen. Noch kann er bei Thorsten zehn bis zwölf Jahre Erfahrung sammeln und lernen.“
Und wenn nicht? „Wenn ich gesund bleibe und am Leben kann ich das hier noch eine ganze Weile machen“, sagt Ihlo. Als der kleine Thorsten noch zur Schule ging, waren die Samstage die schönsten Tage die Woche. Heute sagt der große Thorsten: „Ich kann davon leben, was ich tue. Ich werde nicht reich, aber für mich ist jeden Tag Samstag.“ Wie viel reicher kann ein Mensch sein?


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